Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit
O**L
Arbeit - es könnte so schön sein
Seit Grabers Essay über "Bullshit Jobs" (und nach seinem Buch über Bürokratie noch viel mehr) freue ich mich auf dieses Buch. Und bin mir jetzt nicht sicher, ob ich be- oder entgeistert sein soll.Denn natürlich kennt jeder das Phänomen der Bullshit-Jobs. Sinnlose Büroarbeit, Kästchenankreuzen, von Aufgabenverteilern regiert werden, die außer Aufgaben zu verteilen offenbar nichts zu tun haben, endlose "Evaluierungen" und "Strategien", all das Marketing-, Unternehmensberatungs- und PR-Sprech, all die offenkundig vergeutete Arbeits- und Lebenszeit lassen nur einen Schluss zu: der "Markt" führt in Wahrheit gar nicht zu größter Effizienz. Sondern die Wirtschaft ist von Managern und Bossen regiert, die ihren jeweiligen Marktwert allein darüber definieren, wieviele Lakaien sie unter sich haben - ganz egal, was und wieviel die dann wirklich zu tun haben. Ein Uni-Prof verbringt heute zwei Drittel seiner Zeit mit Bürokratie statt mit Forschung und Lehre. Bildlich gesprochen kommen in vielen Jobs heute sieben Dirigenten auf einen Geiger. Von Großkonzernen wie Bahn und Telekom, bei denen noch staatliche und privatwirtschaftliche Direktiven einander dauernd widersprechen und daher ausgeglichen werden müssen, ganz zu schweigen.Die eigentliche Arbeit wird, soweit sie nicht längst automatisiert ist, von einigen Wenigen erledigt, und zwar, je gesellschaftlich relevanter (Pflege, Krankenbetreuung usw.), desto schlechter bezahlt.Im Grunde also feudale Zustände, in denen die Regierenden den Erwerbstätigen die Hälfte dessen wegnehmen, was sie erwirtschaften, und es an eine große Schar unmittelbar und mittelbar unter sich verteilen: das mittlere Management. Das, wie zu Adelszeiten, größtenteils nix zu tun hat, während die Bauern auf den Feldern schaffen.Graeber hat nach seinem aufsehenerregenden Essay so viel Zuspruch gefunden, dass allein die Sammlung haarsträubender echter Geschichten aus dem "Arbeits"alltag den Preis wert sind. Aber seine Analyse der Zustände in der Wirtschaft ist so bestechend, dass man darauf nur völlig ablehnend reagieren kann (wie offenbar viele Leser hier), weil man sonst alles in Frage stellen müsste, was man aus Politik, Wirtschaft und Medien so weiß bzw. glaubt.Oder halt seine kognitive Dissonanz, die bei vielen ja da ist ("Was mache ich eigentlich hier? Weiß mein Chef, dass ich nichts zu tun habe? Und will er das so? Warum?"), zumindest zu einer Meinung umformen, die den Diskurs mal voranbringt. In erster Linie: weg von dem Glauben, dass die "Arbeits"plätze alles heiligen. Obwohl jeder weiß, dass das volkswirtschaftliche Produkt in naher Zukunft ohnehin von einigen Hochqualifizierten und einer Armee aus Robotern und Computern einzufahren ist. Um dann direkt nach oben durchgereicht zu werden.Für mich das Buch des Jahres (bis jetzt).
S**H
Entäuschendes Buch nach einem genialen Aufsatz
Graebers Aufsatz über Bullshit Jobs war nicht nur sehr interessant, sondern auch sprachlich mehr als gelungen. Er dachte das Thema sehr präzise, unterhaltsam und mit wirklich guten Ansätzen. Daraufhin wünschte ich mir dieses Buch zum Geburtstag. Ich wollte mehr wissen, mehr von ihm hören, lesen, wie er das Thema weiterdachte, welche weiteren oder neuen Erkenntnisse er zu berichten wusste. Stattdessen bekam ich: Unglaublich viele Redundanzen! Neben "Selbstbeweihräucherung" des Autors wurde ständig auf den Essay verwiesen, der im Übrigen komplett abgedruckt ist und bedauerlicherweise das Einzige interessante in diesem Buch darstellt. Ich bin wirklich enttäuscht, dass Klett-Cotta sich für ein solches Buch hergibt. Fazit: Der Aufsatz ist klase, das Buch mit das Schlechteste, was ich je gelesen habe!
M**H
Der moderne unproduktive Hofstaat - fürstlich honoriert, aber sinnbefreit
Graeber versucht in mehreren Anläufen die Entstehung der modernen Bullshit-Jobs zu beschreiben. Ergiebig erscheint mir die historische Parallele zwischen Managerkult heute und Feudalstaat früher. An beiden Orten wurden und werden unzählige unproduktive aber hochlukrative Jobs generiert. Eine besondere Perfiditöt dabei ist, dass die Inhaber dieser gehobenen, eher gut bezahlten Positionen die Ausübenden sinnvoller und produktiver Tätigkeiten wie z.B. Lehrer, Handwerker, Pflegepersonal verachten, so als wenn diese Ihnen die Sinnlosigkeit ihrer Jobs permanent vor Augen halten. Die in der Regel bessere Bezahlung ihrer sinnbefreiten Jobs und Positionen stellt sich damit quasi als Kompensatioszahlung heraus, ein Fall von Korruption sozusagen.Für mich ein augenöffnendes Buch, das auch erklärt, warum in der letzten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. die verursachenden Akteure praktisch ungeschoren davonkamen, während den daran Unschuldigen die negativen Folgen aufgebürdet wurden.
R**R
Geständnis
Ein Stern für die Papierqualität und den Einband.Inhaltlich - vor allem aus der Sicht eines gelernten Werbetexters - hat das Buch allerdings wenig zu bieten.Der Spannung versprechende Titel wird seinen Vorschusslorbeeren in keiner Phase gerecht.Man hat das Gefühl, als würde sich beim Lesen alles im Kreis drehen. Der rote Faden fehlt völlig. Auf wirklich prickelnde Einsichten und Überraschendes wartet man ohnehin vergebens.Zudem fehlt die optische Gliederung wie deutliche(re) Absätze oder Leerstellen, um dem Leser mehr Übersicht zu verschaffen und mentale Pausen zu gönnen.Fazit: Lektüre ohne Genuss, eher eine Qual. Es geht mir aber inzwischen den Umständen entsprechend gut.
B**E
Bullshit-Jobs gefährden die Gesundheit der Menschen und der Gesellschaft
Laut Umfragen in Großbritannien und den Niederlanden haben 37 bis 40 Prozent der Arbeitskräfte den Eindruck, dass ihre Tätigkeiten sinnlos sind. Der Anthropologe David Graeber hat dieses Phänomen durch Zufall oder besser gesagt durch einen provokativen Zeitungsartikel entdeckt. In den letzten Jahren hat er seine These der Bullshit-Jobs näher untersucht und den Begriff folgendermaßen definiert:„Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der den Job ausführt, seine Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.“In seinem Buch beschreibt Graeber viele anschauliche Beispiele von Jobs, die es in einer kapitalistischen Wirtschaft eigentlich gar nicht geben dürfte. Ich hatte vor ein paar Jahren dieses Phänomen auch schonbeschriebenund freue mich nun umso mehr, es auch wissenschaftlich bestätigt zu bekommen.Sinnlose Tätigkeiten fügen unserer Seele einen erheblichen Schaden zu. Sie stören das Bedürfnis nach Wirksamkeit, erzeugen quälende Langeweile und verursachen psychosomatische Erkrankungen. Die damit verbrachte Lebenszeit wird als sinnlos empfunden, oftmals wird die Anstellung nur ertragen, weil damit der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Und das obwohl die Arbeitsbedingungen oft angenehm sind und die Bezahlung gut.Manche Inhaber von Bullshit-Jobs nutzen ihre Zeit für anderes, von exzessiver Facebook-Nutzung bis zum Erlernen einer neuen Sprache, dem Schreiben eines Romans oder dem Malen von Katzenbildern. Andere müssen fortwährend vortäuschen, tätig zu sein, oder jedwede Ablenkung ist untersagt, was in der Folge oft ein Gefühl der inneren Leere und Abgestumpftheit verursacht.Sinnvolle Tätigkeiten hingegen, die von den Betroffenen selbst und allgemein gesellschaftlich als notwendig betrachtet werden, werden oftmals immer weiter rationalisiert und schlecht bezahlt. Als sei das Privileg einer sinnvollen Aufgabe schon genug der Anerkennung. Laut Graeber sind Ärzte eine der wenigen Ausnahmen aus dieser Regel.Doch das stimmt nicht immer. Auch als Ärztin habe ich schon zwei Mal einen Bullshit-Job gehabt. Beide Male als angestellte Weiterbildungsassistentin in der Allgemeinmedizin. Obwohl es in dem Fachbereich mehr als genug Arbeit gibt. In der einen Praxis bestand meine Aufgabe darin, Hausbesuche in Altenheimen zu machen, die eigentlich nicht gebraucht wurden. Das einzige Ziel war es, diese Leistungen abrechnen zu können. Für die wenigen Besuche, die tatsächlich notwendig waren, war ich gar nicht ausgebildet oder eingearbeitet und musste dann oft einen Kollegen hinzurufen. Mein Chef machte keinen Hehl daraus, dass durch die Abrechnung der sinnlosen Hausbesuche die Praxis deutlich mehr Gewinn machte als mein Gehalt kostete, und falls ich während der Arbeitszeit private Erledigungen machen wollte, dann hätten sie nichts dagegen. Mich machte diese Stelle depressiv. Ich wollte als Hausärztin arbeiten, um Menschen zu helfen, nicht um den Umsatz meiner Vorgesetzten zu steigern.In der nächsten Stelle hatte ich ebenfalls kaum Chancen, an der normalen Sprechstunde teilzunehmen. Stattdessen sollte ich eintreffende Befunde lesen, die mein Chef anschließend selbst auch noch mal las. Meine Motivation ging in den Keller, ich hatte am Arbeitsplatz nicht mal Internet, um mich abzulenken, und das Lesen von Fachbüchern ohne praktische Anwendungsmöglichkeit langweilte mich. Meine Pausen wurden immer länger, die Stimmung immer schlechter. Bis ich irgendwann unter Tränen meinem Arbeitgeber gestand, wie sinnlos mir dies alles erschien. Wir einigten uns darauf, die Anstellung zu beenden, und für die restliche Zeit bekam ich tatsächlich noch eine kleine Sprechstunde.David Graeber hält das Bedingungslose Grundeinkommen für eine Lösung, um dem Dilemma der Bullshit-Jobs zu entkommen. Die oft gestellte Frage „Wer geht dann noch arbeiten?“ hält er für eine offensichtlich falsche Befürchtung. Und selbst wenn es dann als nächstes heißt, „ ja, vielleicht sind die meisten noch tätig, aber nur mit Aufgaben, die für sie selbst von Interesse sind. Dann wären die Straßen voller schlechter Dichter, lästiger Schauspieler und Vertreter schräger wissenschaftlicher Theorien“. Wenn heute schon 40 Prozent der Arbeitskräfte in reichen Ländern den Eindruck haben, dass ihre Tätigkeiten sinnlos sind, würden wir durch einen Rückgang von Erwerbstätigkeit in derartigem Ausmaß immer noch keinen Verlust an Wertschöpfung verzeichnen. Viel eher müssten wir stattdessen davon ausgehen, dass die Menschen sich von sinnlosen Jobs befreien und tatsächlich wirksam tätig werden. Die Produktivität könnte dadurch sogar steigen, auch wenn sie vielleicht nicht mehr durch Arbeitslosenstatistiken oder Bruttoinlandsprodukte dargestellt werden kann.Im Zuge der Digitalisierung wird oft darauf verwiesen, dass die vergangene Industrialisierung und Automatisierung nicht zu Massenarbeitslosigkeit geführt hätten. Das Phänomen der Bullshit-Jobs widerspricht dieser These. Es ist nur eine große Anzahl „Einkommensplätze“ geschaffen worden, die den Menschen zwar ein Einkommen verschaffen, aber keine sinnvolle Tätigkeit beinhalten. Statt diesen Trend nun noch weiter fortzusetzen, sollten wir dingend die Existenzsicherung von der Arbeit entkoppeln.Denn wirklich sinnvolle Arbeit gibt es mehr als genug. Im sozialen Bereich, in der Ökologie, im Kreativ-Künstlerischen ist noch viel Luft nach oben. Vielleicht brauchen manche ein bisschen Hilfe bei der Suche, doch soziale und Bildungsarbeit könnte sich darauf einstellen. Nur die Bezahlung gestaltet sich da oft besonders schwierig. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist zumindest die Basis trotzdem für alle gesichert.
ترست بايلوت
منذ أسبوعين
منذ أسبوعين